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Geburtsschäden durch Saugglocke

Uwe Brocks

Rechtsanwalt

Inhalts­verzeichnis

Geburtsschäden durch Saugglocke

Nicht jede Geburt verläuft reibungslos. In manchen Fällen ist es dann notwendig, die vaginale Geburt während der Austrittssphase (früher: Austreibungsphase) mit medizinischen Instrumenten zu unterstützen. Im medizinischen Fachjargon wird das eine vaginal-operative Entbindung genannt. Dabei macht die sog. „Saugglocken-Geburt“ oder „KiWi-Geburt“ in deutschen Krankenhäusern jährlich einen Anteil von 6,3 Prozent bezogen auf die Gesamtgeburtenzahl aus und ist damit keine Seltenheit.
 
Eine solche Art der Geburtshilfe ist dabei allerdings nur in besonderen Situationen angezeigt, z. B. bei einem Geburtsstillstand. Denn wegen der Gefahr von Geburtsverletzungen bei Mutter und Kind ist gerade die Saugglocken-Geburt nur in besonderen Situationen begründet. Denn die enorme Druck- und Zugbelastung auf Mutter und Kind während einer solchen Geburt führt in manchen Fällen zu teils erheblichen Geburtsschäden bei Mutter und/oder Kind und damit teils zu erheblichen Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen.
 
Dieser Beitrag erklärt, welche Geburtsschäden nach einer Saugglocken-Geburt oder KiWi-Geburt zu einem Schadensersatzanspruch führen können.

Was passiert bei einer Saugglocken-Geburt?

Bei einer Saugglocken-Geburt bzw. KiWi-Geburt ziehen Ärzte das Kind mittels einer Saugglocke (auch Kiwi-Glocke genannt) aus dem Geburtskanal der Mutter. Dazu wird zunächst eine kleine Silikon- oder Metallschale an den Kopf des Kindes angelegt, die sog. Saugglocke.
 
In dieser Schale am Kopf des Kindes wird in der Folge mithilfe einer Handpumpe ein Unterdruck erzeugt, so dass sich die Saugglocke am Kopf des Kindes festsaugt. So ist es möglich, das Kind über den an sich normalen Geburtskanal an dieser Glocke mithilfe des Vakuums aus dem Mutterleib herauszuziehen.
 
Da die Saugglockengeburt also maßgeblich abhängig ist von einem Vakuum in der Saugglocke, wird die Saugglockengeburt unter Medizinern sehr technisch auch als „Vakuumextraktion“ bezeichnet.

Wann sind Geburtsverletzungen „Geburtsschäden“ bei der Saugglocken-Geburt?

Grundsätzlich fallen unter den Begriff „Geburtsschäden“ allgemein alle Gesundheitsschädigungen und Verletzungen bei Mutter und Kind, die Folge von Fehlbehandlungen unter der Geburt sind.
 
Damit sind Geburtsverletzungen bei Mutter und Kind rechtlich erst als Geburtsschäden bei der Saugglocken-Geburt einzustufen, wenn sie als Folge eines Behandlungsfehlers im Zusammenhang mit dem Einsatz der Saugglocke entstehen.
 
Ein Geburtsschaden, der Schadensersatz- bzw. Schmerzensgeldansprüche auslöst, liegt bei einer Saugglockengeburt deswegen nur dann vor, wenn
 
  • die Anwendung der Saugglocke schlichtweg nicht notwendig („indiziert“) war oder
  • während der Geburt nicht korrekt eingesetzt wurde oder
  • keine richtige Aufklärung vor dem Einsatz der Saugglocke erfolgte.

Typische Geburtsverletzungen von Mutter und Kind bei der Saugglocken-Geburt

Bei einer Saugglocken-Geburt können sowohl Mutter als auch Kind Geburtsverletzungen davontragen, die zu einem Geburtsschaden und so zur Grundlage von Schadenersatz und Schmerzensgeldansprüchen werden können.

Geburtsverletzungen bei der Mutter

Typische Verletzungen der Mutter durch eine Saugglocken-Geburt:
 
  • Hochgradige Dammrisse: Ein Dammriss ist ein Einriss im Gewebe zwischen Scheide und After. Hochgradige Risse (3. und 4. Grades) betreffen auch den Schließmuskel und manchmal sogar den Enddarm. Folgen solch schwerwiegender Dammrisse sind etwa starke Schmerzen, Probleme mit der Wundheilung, Infektionen, Stuhlinkontinenz, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Durch Narbenbildungen oder Probleme bei der Wundheilung / dem Heilen der Muskeldurchtrennungen können dauerhafte Beschwerden eintreten.
  • Scheidenrisse: Bei Scheidenrissen handelt es sich um Einrisse in der Scheidenwand, die unterschiedlich tief sein können. Dadurch können Blutungen, Infektionen und Schmerzen entstehen. Durch Narbenbildungen kann es zu einer Verengung der Scheide kommen, die Schmerzen beim Geschlechtsverkehr nach sich ziehen kann.
  • Dauerhafte Schmerzen im Beckenboden: Der Beckenboden ist eine Muskelgruppe, die die Organe im Becken stützt. Durch die Saugglocke und die Geburt kann diese Muskulatur überdehnt oder verletzt werden. Folgen sind häufig Schmerzen im Beckenbereich, Rückenprobleme, Senkungsbeschwerden (z.B. Blasensenkung) oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.
  • Inkontinenz: Der unkontrollierte Abgang von Harn oder Stuhl ist eine der häufigsten Schäden nach einer Saugglockengeburt. Inkontinenz schränkt die Lebensqualität mitunter massiv ein und führt nicht selten zu psychischen Belastung und sozialer Isolation. Insbesondere die Stuhlinkontinenz wird von betroffenen Frauen als höchst belastend empfunden.
  • Verletzungen der Harnröhre: Eine verletzte Harnröhre kann zu Schmerzen beim Wasserlassen, Harnwegsinfektionen und Inkontinenz führen.
  • Verletzungen des Gebärmutterhalses: In diesen Fällen kann es zu Blutungen, Infektionen und Problemen bei späteren Schwangerschaften kommen.
  • Psychische Belastungen: Eine traumatische Saugglockengeburt kann zu Angstzuständen, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen führen.

Geburtsverletzungen beim Kind

Bei Kindern führt die Vakuumextraktion selbst nur selten unmittelbar zu Geburtsverletzungen. Typisch sind dann Hämatome oder Hirnblutungen. Meist kommt es zu einer vorübergehenden Schwellung am Kopf des Kindes, die sich meist von selbst wieder zurückbildet. Auch eine Neugeborenen-Gelbsucht ist als Folge der Saugglocken-Geburt nicht ungewöhnlich, da zum Abbau entstandener Blutergüsse vermehrt Bilirubin gebildet wird.
Häufiger führt der erhöhte Stress durch die Vakuumextraktion zu gefährlichen Komplikationen. Daher kommen bei Kindern als Geburtsschäden häufiger mittelbare Folgen einer Saugglocken-Geburt in Betracht:
  • Infantile Cerebralparese/Sauerstoffmangel unter der Geburt: Das Kind erleidet während der Geburt aufgrund der erhöhten Stresssituation einen Sauerstoffmangel. Das ohnehin durch den Geburtsvorgang gestresste Kind wird durch den Einsatz der Saugglocke mit seiner extremen Sogwirkung zusätzlichem Stress ausgesetzt. So kann es zu einer Sauerstoffmangelversorgung beim Kind kommen, was unter Umständen eine Reanimation nach der Geburt notwendig macht. Im schlimmsten Fall hat die Saugglocken-Geburt in solchen Situationen dauerhafte Hirnschäden etwa in Form einer Cerebralparese zur Folge.
  • Schulterdystokie: Bei einer Vakuumextraktion besteht ein deutlich erhöhtes Risiko, dass die vordere Schulter des Kindes an der Symphyse der Mutter hängen bleibt. Anders als bei einer natürlichen Geburt hat das Kind bei der Vakuumextraktion oftmals nicht ausreichend Zeit, sich rechtzeitig zu drehen, um durch den Geburtskanal zu passen. Damit erhöht sich das Risiko, dass sich das Kind erhebliche Plexusverletzungen (Verletzungen des Armvenengeflechts) zuzieht.
  • Nabelschnurkompression: Nicht zuletzt kann es unter einer Saugglocken-Geburt zu einer Nabelschnurkompression kommen und damit zu Sauerstoffunterversorgung mit teils schweren Hirnschäden als Folge.

Behandlungsfehler wegen Einsatz der Saugglocke

Weil Anwendungsfehler bei der Saugglocken-Geburt schwer nachzuweisen sind, ist die Grundlage von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen bei Saugglocken-Geburten meist die Frage, ob diese Vakuumextraktion überhaupt notwendig war und/oder richtig über die Risiken und Alternativen aufgeklärt wurde. Denn nicht selten drängt sich der Verdacht auf, dass die Geburt unnötig schnell beendet werden sollte und damit ein unnötiges Risiko Geburtsschäden bei Mutter und Kind eingegangen wurde.
 
Deswegen lassen sich Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche wegen einer „Fehlbehandlung“ im Zusammenhang mit einer Saugglocken-Geburt im Wesentlichen auf zwei Fallkonstellationen reduzieren:
 
  1. Die Vakuumextraktion war nicht notwendig/nicht indiziert. Hier wurde eine Saugglocken-Geburt durchgeführt, obwohl sie medizinisch nicht notwendig war. In aller Regel ist ein so massiver mechanischer, geburtshilflicher Eingriff in den Geburtsvorgang nur notwendig, wenn es zu einem Geburtsstillstand gekommen ist oder eine konkrete Gefahr für das ungeborene Kind vorliegt und die Geburt schnell beendet werden muss. Die Geburt ohne medizinische Notwendigkeit beschleunigen zu wollen, ist kein Grund eine Saugglocken-Geburt vorzunehmen.
  2. Die Saugglocke wurde unsachgemäß eingesetzt: Auch wenn der Einsatz einer Saugglocke indiziert war, kann eine falsche Anwendung zu Geburtsschäden führen. So kann ein zu starkes Vakuum zu Kopfverletzungen beim Kind und Verletzungen des Geburtskanals der Mutter führen. Eine übermäßig lange Anwendung der Saugglocke erhöht das Risiko für Sauerstoffmangel und Hirnschäden beim Kind. Auch sollte nur während der Wehen eine Saugglocke angewendet werden, um die natürlichen Kräfte der Mutter zu unterstützen. Ein Ziehen außerhalb der Wehen erhöht die Gefahr von Verletzungen. Letztlich kann auch eine falsche Positionierung der Glocke am Kopf des Kindes oder eine mangelnde Überwachung des Kindes zu folgenschweren Fehlern führen.
  3. Fehlerhafte Aufklärung über Risiken bzw. kein Aufzeigen von Alternativen zur Saugglocke-Geburt: Mütter werden häufig nicht ausreichend über die Vor- und Nachteile und Risiken des Einsatzes der Saugglocke aufgeklärt. Nicht selten werden auch keine Alternativen zur Saugglocken-Geburt mit der Mutter besprochen, also nicht darauf hingewiesen, dass – je nach Höhenstand des Kindes im Mutterleib – unter Umständen noch ein Kaiserschnitt (Sectio) als gleich geeignete Alternative zur Vakuumextraktion möglich wäre.

Wann besteht nach einer Saugglocken-Geburt Anspruch auf Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld?

Ob ein Schadensersatzanspruch bzw. Schmerzensgeldanspruch wegen eines Geburtsschadens bei einer Saugglocken-Geburt besteht, ist – wie immer im Medizinrecht – eine Frage, die für den konkreten Einzelfall zu entscheiden ist.
 
Maßgeblich dafür, dass ein Schadensersatz- oder Schmerzensgeldanspruch besteht, ist der konkrete Geburtsablauf und die Frage, ob sich ein Behandlungsfehler anhand der Dokumentation der Aufklärungsprotokolle im Detail nachvollziehen lässt.
 
Die Antworten auf folgende Fragen sind dabei entscheidend:
 
  • Warum wurde die Vakuumextraktion durchgeführt?
  • Wäre Abwarten eine Alternative zum Einsatz der Saugglocke gewesen?
  • Worüber hätte man aufklären müssen?
  • Hätte eine Sectio/ein Kaiserschnitt aufgrund des hohen Höhenstands des Kindes statt der Vakuumextraktion durchgeführt werden können bzw. müssen?

Wenden Sie sich an Experten für Geburtsschäden & Schmerzensgeld

Obwohl Schmerzensgeld die Folgen eines Behandlungsfehlers während einer Saugglockengeburt nicht rückgängig machen kann, hilft es zumindest, die damit einhergehenden finanziellen Belastungen zu bewältigen. Dazu gehören zum Beispiel die Kosten für weitere Behandlungen oder behindertengerechte Umbauten.
 
Unsere Kanzlei ist darauf spezialisiert, Mütter und Kinder bei der Durchsetzung ihrer Rechte nach einem Geburtsschaden zu unterstützen. Wir haben langjährige Erfahrung und setzen uns deutschlandweit für Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche nach Behandlungsfehlern bei Saugglockengeburten ein.
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