Während einer Geburt ist das CTG, die Kardiotokographie, eines der wichtigsten Überwachungsinstrumente. Es liefert kontinuierlich Informationen über die Herzfrequenz des ungeborenen Kindes und die Wehentätigkeit der Mutter. Wird ein CTG jedoch fehlerhaft ausgewertet, kann das dramatische Folgen haben.
Eine fehlerhafte oder unterbliebene CTG-Bewertung zählt in der Praxis zu den häufigsten Ursachen schwerer Geburtsschäden und ist entsprechend oft Kernpunkt der medizinrechtlichen Aufarbeitung. Das Wissen, dass es zu vermeidbaren gesundheitlichen Schäden oder Behinderungen gekommen ist, macht Fälle rund um falsche CTG-Auswertungen sowohl emotional als auch juristisch besonders belastend. Die Abgrenzung zwischen unvermeidbarem Verlauf und ärztlichem Behandlungsfehler ist häufig komplex und umstritten.
Was ein CTG misst
Das CTG zeichnet gleichzeitig die kindliche Herzfrequenz und die Wehentätigkeit der Mutter auf. Ziel ist es, den Zustand des ungeborenen Kindes während Schwangerschaft und Geburt zuverlässig zu überwachen. Bewertet werden:
- Basalfrequenz: Sie beschreibt die durchschnittliche Herzfrequenz des ungeborenen Kindes über einen bestimmten Zeitraum. Normal ist eine Basalfrequenz zwischen 110 und 160 Schlägen pro Minute. Liegt sie dauerhaft darunter oder darüber, kann das auf Unterversorgung oder Stress hinweisen.
- Variabilität/Oszillation: Sie bezeichnet die ständigen kleinen Schwankungen der Herzfrequenz um die Basalfrequenz herum. Eine „gesunde aber nicht übermäßige Schwankung“ bedeutet, dass die Herzfrequenz nicht völlig gleichmäßig ist. Eine eingeschränkte Variabilität kann ein Hinweis auf Sauerstoffmangel oder Erschöpfung des Kindes sein.
- Akzelerationen und Dezelerationen: Das sind kurzzeitige Ausschläge der Herzfrequenz nach oben (Akzeleration) oder unten (Dezeleration). Häufige oder tiefe Abfälle können auf eine beginnende Unterversorgung hindeuten.
Schon kleine Veränderungen an diesen Werten können klinisch relevant sein. Deshalb kommt es auf eine sorgfältige CTG-Interpretation und eine stimmige klinische Einordnung an. Das CTG ist ein wichtiges Hilfsmittel zur Erkennung von Komplikationen.
Die Bewertung nach dem FIGO-Score
International wird die CTG-Auswertung nach der Klassifikation der FIGO (International Federation of Gynecology and Obstetrics) vorgenommen. Unterschieden wird zwischen einem
- normalen Befund: Das CTG zeigt eine stabile Herzfrequenz mit regelrechter Variabilität und ohne bedenkliche Dezelerationen.
- suspekten Befund: Das CTG weist einzelne Auffälligkeiten auf, die engmaschig beobachtet und ärztlich abgeklärt werden müssen.
- pathologischen Befund: Pathologische CTGs deuten auf eine akute fetale Gefährdung hin und erfordern unverzügliches Handeln.
Bleibt eine pathologische CTG-Bewertung unerkannt oder wird sie als „noch abwartbar“ fehlgedeutet, hat das regelmäßig schwerwiegende medizinische und rechtliche Konsequenzen.
Ursachen und Folgen von Fehlern bei der CTG-Interpretation
1. Interpretationsfehler
Falsch-negative Befunde: Trügerische Sicherheit
Die gravierendsten Fehler entstehen, wenn ein pathologisches CTG-Muster als unauffällig oder lediglich suspekt fehlinterpretiert wird. Dies führt zu einer gefährlichen Fehleinschätzung der Lage, bei der Warnsignale übersehen und notwendige Interventionen unterbleiben. Solche „falsch-negativen“ Bewertungen können eine akute fetale Gefährdung, wie eine beginnende Hypoxie (Sauerstoffmangel), verschleiern.
Falsch-positive Befunde: Unnötige Ängste und Interventionen
Obwohl weniger gefährlich als falsch-negative Befunde, sind auch „falsch-positive“ CTG-Interpretationen ein Problem. Hierbei wird ein harmloser CTG-Verlauf als bedrohlich eingestuft, was zu unnötiger Sorge bei den Eltern und möglicherweise zu übereilten, nicht indizierten medizinischen Interventionen (z.B. einem Kaiserschnitt) führen kann.
Fehlerhafte Einordnung von Dezelerationen
Ein häufig medizinrechtlich relevanter Fehler ist die Verwechslung oder falsche Einordnung von Dezelerationen. Während frühe Dezelerationen, die mit der Wehe einhergehen, in der Regel und wenn sie nicht zu engmaschig vorkommen, unbedenklich sind, stellen späte Dezelerationen ein klares Warnsignal dar. Sie beginnen nach dem Höhepunkt der Wehe und deuten auf eine Sauerstoffunterversorgung des Kindes hin. Das Übersehen oder Verharmlosen später Dezelerationen, ist ein schwerwiegender Behandlungsfehler und kann eine unmittelbare Gefahr für das Kind darstellen.
2. Der Kontext ist entscheidend: Das CTG als Teil eines Ganzen
Ein CTG darf niemals isoliert betrachtet werden. Die kardiotokografischen Daten müssen immer in den gesamten klinischen Kontext der Geburt eingebettet werden. Begleitzeichen wie Blutungen, grünes Fruchtwasser, Veränderungen der Kindsbewegungen oder der allgemeine Zustand der Gebärenden sind essenziell für eine umfassende Einschätzung. Werden diese klinischen Hinweise bei der CTG-Bewertung ausgeblendet oder nicht ausreichend berücksichtigt, kann dies zu einer gefährlichen Fehleinschätzung führen und den Vorwurf eines Behandlungsfehlers begründen.
Eine alleinige Fokussierung auf die CTG-Kurve ohne die Berücksichtigung des Geburtsfortschritts, der mütterlichen Vitalparameter oder des Medikationsstatus ist unzureichend und potenziell gefährlich.
3. Technische und organisatorische Fehlerquellen
Neben den reinen Interpretationsfehlern können auch technische Mängel und organisatorische Schwachstellen maßgeblich zu fehlerhaften CTG-Auswertungen beitragen.
Technische Probleme
Eine unzureichende oder lückenhafte Aufzeichnung der kindlichen Herzfrequenz oder der Wehentätigkeit durch verrutschte Sonden, schlechten Kontakt oder Gerätedefekte kann die Auswertung erheblich erschweren oder unmöglich machen. Das Ignorieren oder zu späte Erkennen solcher Probleme verzögert die Gewinnung verlässlicher Daten.
Auch fehlerhafte Geräteeinstellungen können zu verzerrten oder unzutreffenden Aufzeichnungen führen.
Organisatorische Mängel
Organisatorische Mängel können in verschiedenen Formen auftreten.
So stellt etwa eine lückenhafte Dokumentation einen Mangel dar. Eine unvollständige, ungenaue oder nicht zeitgerechte Dokumentation des CTG-Verlaufs, der Beobachtungen und der durchgeführten Maßnahmen erschwert nicht nur die medizinische Entscheidungsfindung während der Geburt, sondern ist in einem medizinrechtlichen Verfahren ein erhebliches rechtliches Problem. CTG-Streifen gehören immer vollständig in die Patientenakte.
Auch eine gestörte Kommunikation im Kreißsaal kann Teil eines umfassenden organisatorischen Mangels sein und dazu führen, dass kritische Befunde nicht oder verspätet adressiert werden.
Damit eng verbunden sind unklare Verantwortlichkeiten im Kreißsaal. Wenn die Zuständigkeiten bei der CTG-Beurteilung und der daraus resultierenden Maßnahmen nicht klar definiert sind, kann dies zu Verzögerungen und Fehlern führen.

4. Die Verantwortung von Hebammen und Ärzten aus juristischer Sicht
Die rechtliche Einordnung bei CTG-Fehlern differenziert nach den jeweiligen Verantwortlichkeiten und Kompetenzen der beteiligten medizinischen Fachkräfte:
Die Rolle der Hebamme
Hebammen sind zur eigenverantwortlichen Betreuung einer physiologisch, also normal und komplikationsfrei verlaufenden Geburt befugt. Sobald jedoch Abweichungen vom Normalverlauf auftreten – und dazu zählt insbesondere ein suspektes oder pathologisches CTG – besteht eine unverzügliche Konsultationspflicht. Die Hebamme muss in einem solchen Fall umgehend eine Ärztin oder einen Arzt hinzuziehen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann als Behandlungsfehler gewertet werden. Dies ist ein häufiger Aspekt einer geburtsschadensrechtlichen Auseinandersetzung.
Die Rolle des Arztes/der Ärztin
Die ärztliche Verantwortung beginnt spätestens mit der Hinzuziehung bei auffälligen CTG-Befunden. Ärzte sind für die abschließende Bewertung des CTGs, die Einordnung in den klinischen Kontext und die Entscheidung über notwendige Interventionen (z.B. Lagerungswechsel, Sauerstoffgabe, medikamentöse Wehenhemmung oder die Einleitung eines Notkaiserschnitts) zuständig. Wird ein pathologisches CTG übersehen, falsch bewertet oder unterbleibt trotz eindeutiger Indikation eine gebotene Intervention, liegt regelmäßig ein Befunderhebungsfehler oder Behandlungsfehler vor.
Häufige Schädigungen infolge fehlerhafter CTG-Auswertungen
Wird ein pathologisches CTG übersehen oder falsch bewertet, drohen für Mutter und Kind schwerwiegende, teils irreversible Folgen. Im Mittelpunkt arzthaftungsrechtlicher Verfahren stehen vor allem neurologische Schädigungen infolge eines Sauerstoffmangels während der Geburt.
Zu den häufigsten Geburtsschäden durch CTG-Fehler zählen die hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE), die durch akuten Sauerstoffmangel und Minderdurchblutung des kindlichen Gehirns entsteht, sowie daraus folgende Cerebralparesen mit dauerhaften motorischen Einschränkungen. Hinzu kommen nicht selten Epilepsien, Entwicklungsverzögerungen und kognitive Beeinträchtigungen, die die Selbstständigkeit der betroffenen Kinder dauerhaft einschränken. Zudem können organische Schäden an Herz, Nieren, Leber oder Lunge entstehen.
Für die betroffenen Familien bedeuten Krankheiten und Behinderungen die aus einer fehlerhaften CTG-Auswertung resultieren, häufig lebenslange Pflegebedürftigkeit des Kindes, erhebliche Einschränkungen der Selbstständigkeit, hohe Kosten und eine enorme seelische Belastung. Hinter jedem juristischen Verfahren steht somit eine menschliche Geschichte, die wir in unserer Arbeit sehr ernst nehmen.
Juristische Bewertung und Haftung bei CTG-Fehlern
Die juristische Aufarbeitung eines Geburtsschadens durch CTG-Fehler, ist vielschichtig. Sie beschränkt sich nicht nur auf offensichtliche Behandlungsfehler (§ 630a BGB), wenn ein pathologisches CTG übersehen oder eine gebotene Intervention unterlassen wird. Ist dieses Versäumnis besonders schwerwiegend, liegt ein grober Behandlungsfehler, bei dem gravierend gegen den medizinischen Standard verstoßen wurde; in solchen Fällen verschiebt sich die Beweislast nach § 630h Abs. 5 BGB zugunsten der Patientenseite.
Auch jenseits der direkten Behandlung können Fehler entscheidend sein. Eine lückenhafte oder ungenaue Dokumentation der CTG-Verläufe und getroffenen Maßnahmen kann die Rekonstruktion des Geschehens erheblich erschweren. Nach § 630h Abs. 3 BGB kann dies dazu führen, dass gerichtlich vermutet wird, ein nicht dokumentierter Befund sei gar nicht erst erhoben wurde oder eine nicht dokumentierte Maßnahme nicht durchgeführt worden sei. Dies stellt eine erhebliche Beweiserleichterung für die Patientenseite dar und kann für den Ausgang eines Arzthaftungsprozesses wichtig sein.
Ebenso kann ein Organisationsversagen der Klinik – z. B. aufgrund von Personalmangel, unklaren Zuständigkeiten oder mangelhafter interner Kommunikation – dazu beitragen, dass Warnsignale übersehen werden und ein Schaden entsteht.
Die Prüfung der Haftung bei CTG-Fehlern erfordert eine umfassende Analyse des gesamten Geburtsprozesses, bei der alle genannten Fehlerquellen eine Rolle spielen können.
Schmerzensgeld und Entschädigung bei CTG-Fehlern
Bei schwersten Geburtsschäden infolge einer fehlerhaften CTG-Interpretation sprechen Gerichte teils erhebliche Schmerzensgelder zu, in Einzelfällen bis zu einer Million Euro. Darüber hinaus kommen weitere Ansprüche wie z.B.
- Ersatz lebenslanger Pflege- und Versorgungskosten,
- Umbaukosten und
- Kosten für Haushaltshilfen
in Betracht. Maßgeblich für die Höhe der Entschädigung sind das Ausmaß der Schädigung, der Pflegebedarf, die Lebenserwartung und die psychische Belastung der Eltern. Ein tragfähiges, unabhängiges medizinisches Gutachten ist hierfür zentral.
Was betroffene Eltern jetzt machen sollten
Eltern, die einen Geburtsschaden durch CTG-Fehler vermuten, sollten frühzeitig aktiv werden. Bereits sehr frühzeitig dann sollte eine spezialisierte Fachkanzlei für Medizinrecht mit dem Schwerpunkt Geburtsschäden hinzugezogen werden, die die Erfolgsaussichten prüft, die Ansprüche beziffert und die nächsten Schritte koordiniert. Nach § 630g BGB besteht das Recht, Einsicht in sämtliche Geburtsunterlagen und CTG-Aufzeichnungen zu nehmen; diese Unterlagen sollten von der Kanzlei vollständig angefordert und gesichert werden. Sinnvoll ist es zudem, dass Sie Gespräche, Beobachtungen und zeitliche Abläufe aus dem Kreißsaal unmittelbar zu notieren, solange die Erinnerung frisch ist. Parallel empfiehlt sich eine unabhängige fachmedizinische Begutachtung des CTGs, um die FIGO-Bewertung, die Qualität der Signalführung und die Reaktionszeiten objektiv zu prüfen, die durch die Kanzlei für Geburtsschäden geleitet werden sollte.
Rechtliche Hilfe bei fehlerhaften CTG-Auswertungen
Ein fehlerhaft ausgewertetes CTG kann schwerwiegende Folgen haben und das Leben einer Familie von einem Moment auf den anderen verändern. Umso wichtiger ist es, die Ursachen aufzuarbeiten und Verantwortung einzufordern.
Wir von BROCKS Medizinrecht sind als Patientenanwälte auf Arzthaftungsrecht und geburtshilfliche Behandlungsfehler spezialisiert. Wir stehen betroffenen Eltern mit unserer medizinischen und juristischen Expertise zur Seite. Wir prüfen Ihre Unterlagen, lassen CTGs unabhängig begutachten und setzen uns dafür ein, dass Sie Klarheit und Gerechtigkeit erhalten.
Wenn Sie vermuten, dass während der Geburt Fehler bei der CTG-Auswertung passiert sind, nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf. Wir begleiten Sie mit Erfahrung, Einfühlungsvermögen und dem Ziel, Ihnen und Ihrem Kind die bestmögliche Zukunft zu sichern.