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Vermeidbare Geburtsschäden: Was ist der „richtige“ Geburtsort?
Uwe Brocks
Rechtsanwalt
Vermeidbare Geburtsschäden: Was ist der „richtige“ Geburtsort?
Schwangere können in Deutschland grundsätzlich selbst entscheiden, ob sie ihr Kind im Krankenhaus, im Geburtshaus oder zu Hause zur Welt bringen wollen. Wenn allerdings Risiken bekannt sind – beispielsweise durch Vorerkrankungen, Schwangerschaftskomplikationen oder ein erhöhtes Alter der Mutter – darf die Entbindung nach dem medizinischen Facharztstandard nur in entsprechend ausgestatteten Einrichtungen erfolgen. Eine mangelnde Aufklärung oder eine falsche Risikoabwägung des verantwortlichen medizinischen Personals können jedoch dazu führen, dass sich die Mutter für einen nicht geeigneten Geburtsort entscheidet. Im schlimmsten Fall kann es dadurch zu Geburtsschäden mit lebenslangen Beeinträchtigungen für Mutter und Kind kommen.
Wir informieren Sie hier über die zur Verfügung stehenden Geburtsorte und deren Versorgung für Mütter und ihre neugeborenen Kinder. Erfahren Sie außerdem, welche Rolle eine korrekte Risikobewertung bei der Wahl des Geburtsorts spielt und wie eine fehlerhafte Aufklärung oder Behandlung zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen kann.
Welche Geburtsorte gibt es?
Bei der Wahl des Geburtsortes haben werdende Eltern in Deutschland prinzipiell drei Möglichkeiten. Die am häufigsten gewählte Alternative ist dabei ein Krankenhaus, wobei es hier die Wahl zwischen vier verschiedenen Versorgungsstufen, insbesondere in Form von Perinatalzentren, gibt. Zudem können Mütter in hebammengeleiteten Geburtshäusern oder zuhause entbinden. Die Aufnahme und Zuweisung zu einem bestimmten Geburtsort basiert auf der Einschätzung des Risikos für das Kind und die Schwangere. Bei Risikoschwangerschaften dient die Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene (QFR-RL) als Grundlage.
1. Die Entbindung in einem Krankenhaus
Mehr als 90 % aller Schwangeren in Deutschland entscheiden sich dafür, in einem Krankenhaus zu entbinden. In Deutschland stehen dafür Einrichtungen mit vier verschiedenen Versorgungsstufen zur Verfügung. Dabei bieten die meisten Geburtsstationen in Kliniken die notwendige medizinische Versorgung für „normale“ Geburten, bei denen mit keinen Komplikationen zu rechnen ist. Darüber hinaus gibt es jedoch sogenannte Perinatalzentren. Das sind spezialisierte Einrichtungen, die sich auf die Betreuung von Risikoschwangerschaften und die Versorgung von Frühgeborenen konzentrieren. Perinatalzentren verfügen über eine spezielle Ausstattung und Expertise, um auch komplizierte Geburten und die Versorgung von kranken Neugeborenen zu gewährleisten. Je nach Schwere der zu erwartenden – oder sich spontan ergebenden – Komplikationen werden drei verschiedene Formen von Preinatalzentren mit unterschiedlichen Versorgungsstufen vorgehalten.
Versorgungsstufe I: Perinatalzentrum Level 1
Ein Perinatalzentrum Level 1 entspricht der höchsten Versorgungsstufe. Es gewährleistet die permanente Anwesenheit von medizinischem Fachpersonal, unter anderem aus den Bereichen Gynäkologie, Geburtshilfe und Neonatologie. Darüber hinaus stellen Perinatalzentren der Versorgungsstufe I mindestens sechs Intensivbehandlungsplätze für Frühgeborene bereit. Die ärztliche Betreuung muss ohne Unterbrechung bis mindestens 28 Tage nach dem errechneten Tag der Entbindung fortgesetzt werden können.
Level-1-Perinatalzentren können Kinder aller Versorgungsstufen behandeln. Liegt das geschätzte Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm oder beträgt das Alter des erwarteten Frühgeborenen (Gestationsalter) unter 29 Schwangerschaftswochen, muss die Behandlung nach dem sog. Facharztstandard in einem Perinatalzentrum Level 1 stattfinden. Gleiches gilt für Schwangere mit Drillingen unter 33 Schwangerschaftswochen und Schwangere mit über drei Mehrlingen. Schwangere mit diagnostizierten Erkrankungen, die eine sofortige intensivmedizinische Versorgung des Neugeborenen nach der Geburt erwarten lassen, sollten ebenfalls in Perinatalzentren mit der Versorgungsstufe 1 entbinden.
Versorgungsstufe II: Perinatalzentrum Level 2
Perinatalzentren mit Level 2 erfüllen dieselben Kriterien wie Level-1-Einrichtungen. Der Unterschied besteht lediglich hinsichtlich der Intensivversorgung. Auf der Intensivstation für Neugeborene müssen statt sechs nur vier Betten vorhanden sein.
Ein Perinatalzentrum Level 2 versorgt Schwangere mit schweren Schwangerschaftskomplikationen. Dazu gehören zum Beispiel das HELLP-Syndrom, das mit Blutarmut und erhöhten Leberwerten einhergeht, oder eine schwere Wachstumsverzögerung. Auch Schwangere mit den Fötus gefährdender Diabetes kommen in ein Perinatalzentrum mit Versorgungsstufe II. Ein weiteres mögliches Kriterium ist ein erwartetes Gewicht des Frühgeborenen zwischen 1.250 und 1.499 Gramm und ein Gestationsalter zwischen 29 Schwangerschaftswochen und 31 Schwangerschaftswochen plus sechs Tagen. Ein Perinatalzentrum der Stufe 2 kann auch Kinder der Versorgungsstufen 3 und 4 behandeln.
Versorgungsstufe III: Perinataler Schwerpunkt
Eine Klinik mit perinatalem Schwerpunkt ist auf weniger kritische Risikoschwangerschaften ausgerichtet, gewährleistet aber dennoch die Versorgung von Mutter und Kind bei erhöhter Gefährdung. Die Einrichtung muss sicherstellen, dass ein ausgewiesener Facharzt für Pädiatrie in einem Notfall innerhalb weniger Minuten zur Stelle ist.
Ähnlich einem Perinatalzentrum Level 2 nimmt eine Einrichtung mit Versorgungsstufe III Schwangere mit Diabetes auf sowie Schwangere mit einem Fötus, bei dem eine (weniger kritische) Wachstumsverzögerung festgestellt wurde. Patientinnen, die ein Frühgeborenes mit einem Gewicht von mehr als 1.500 Gramm und einem Alter zwischen 32 Schwangerschaftswochen und 35 Schwangerschaftswochen plus sechs Tagen erwarten, werden hier ebenfalls stationär betreut.
Versorgungsstufe IV: Geburtsklinik
Eine Einrichtung der Versorgungsstufe IV ist ein Krankenhaus ohne angeschlossene Kinderklinik. Hier werden Schwangere versorgt, denen keine Komplikationen bei oder nach der Geburt drohen und deren Kind erwartungsgemäß nach der 36. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommt. Transporte von Neugeborenen und neonatologische Behandlungen sollen in einer solchen Klinik möglichst nicht notwendig werden.
2. Die Entbindung in einem Geburtshaus
Ein Geburtshaus ist eine in der Regel von Hebammen geleitete Einrichtung, in der meist ausschließlich unter der Aufsicht von Hebammen – also ohne die Anwesenheit von Ärzten – entbunden werden kann. Um als Geburtshaus fungieren zu können, muss eine Hebammenpraxis nicht nur räumlich dazu geeignet sein, sondern auch über eine Notfallausrüstung für Mutter und Kind, wie z. B. Sauerstoff, Absaugvorrichtung oder Reanimationsausrüstung sowie ein Notfallkonzept zur Verlegung von Gebärenden in ein Krankenhaus verfügen.
Werdende Mütter entscheiden sich meist für ein Geburtshaus, weil sie den als unpersönlich und „kalt“ empfundenen Abläufen eines Klinikbetriebs entgehen möchten. Über die damit einhergehenden Risiken müssen Schwangere zuvor aufgeklärt werden. Zudem müssen die betreuenden Hebammen die individuellen Risikofaktoren mit der Schwangeren besprechen und erläutern, ob diese eine außerklinische Geburt beeinträchtigen könnten – und im Zweifelsfall eine Entbindung im Geburtshaus ablehnen.
3. Die Hausgeburt
Die dritte Alternative neben Klinik und Geburtshaus ist die Geburt in den eigenen vier Wänden. Eine Hausgeburt setzt unter anderem voraus, dass keine Komplikationen zu erwarten sind, es sich also voraussichtlich nicht um eine Risikogeburt handelt. Ausschlusskriterien für eine Hausgeburt sind u.a.:
- eine Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind,
- eine insulinpflichtige Diabeteserkrankung der Mutter,
- eine Mehrlingsschwangerschaft.
Bei anderen medizinischen Risiken entscheidet der Facharzt oder die Fachärztin individuell darüber, ob eine Hausgeburt möglich ist; so beispielsweise bei einer Überschreitung des Geburtstermins um über eine Woche oder bei einer Steißlage des Fötus. Eine Hausgeburt sollte stets mindestens von einer Hebamme begleitet werden. Alleingeburten sind in Deutschland gesetzlich erlaubt. Davon ist aber unbedingt abzuraten.
Die richtige Wahl des Geburtsortes zur Vermeidung „vollbeherrschbarer Risiken“
Komplikationen während der Geburt erfordern eine schnelle und spezialisierte medizinische Versorgung. Kann diese am gewählten Geburtsort aufgrund der fachlichen Kompetenz oder der medizinischen Ausstattung nicht gewährleistet werden, können lebenslange Schäden für Mutter und Kind die Folge sein. Dazu gehören nicht nur körperliche oder geistige Beeinträchtigungen, sondern auch psychische Traumata durch die erlebte Geburt.
Eine ärztliche Betreuung und Beratung von Schwangeren muss daher stets sicherstellen, dass die werdende Mutter bei der Wahl des Geburtsortes eine Einrichtung wählt, die dem Geburtsrisiko angemessen ist. Dies lässt sich aus § 630h BGB ableiten, der besagt, dass Behandelnde für Schäden haften, die aus einem Risiko resultieren, das eigentlich „voll beherrschbar“ ist. Basierend auf einer Risikobewertung müssen ein Arzt oder eine Hebamme die Schwangere über die für ihre Geburt geeignete Einrichtung informieren. Dabei müssen die Geburtsorte empfohlen werden, die auf die spezifischen Risiken vorbereitet sind. Dies gilt auch unter der Geburt, wenn Komplikationen auftreten, die eine Verlegung der Gebärenden in eine adäquat ausgestattete Klinik erfordern.
Was sind typische Fehler, die zu Geburtsschäden führen können?
Zu den häufigsten Fehlern im Geburtsschadensrecht gehören die Geburtseinleitung trotz Kontraindikation, verspätete Reaktionen (zum Beispiel eine verzögerte Entscheidung für einen Kaiserschnitt) und Fehler bei der Kardiotokografie (CTG), die die Herzfrequenz des Fötus und die Wehentätigkeit aufzeichnet. Hinzu kommen Befunderhebungsfehler wie eine unregelmäßige Kreißsaalüberwachung, die dazu führen, dass wichtige Maßnahmen zu spät ergriffen werden.
Der Geburtsort hat einen erheblichen Einfluss auf die Entstehung von Geburtsschäden. So kann in Perinatalzentren mit hoher Versorgungsstufe viel schneller auf Komplikationen reagiert werden, als es beispielsweise in einem normalen Krankenhaus ohne Kinderklinik der Fall ist. Die meisten Risikogeburten lassen sich dank moderner Pränataldiagnostik gut vorhersehen. Empfiehlt der behandelnde Arzt oder die eingesetzte Hebamme trotz bestehender Risiken einen Geburtsort mit nicht geeigneter Versorgungsstufe, liegt möglicherweise ein Aufklärungsfehler vor. Auch ein Behandlungsfehler kann zur Wahl eines falschen Geburtsortes führen, etwa dann, wenn ein Risiko nicht rechtzeitig erkannt und der Patientin deshalb ein Geburtsort mit unzureichender Versorgung nahegelegt wird.
Die Wahl des richtigen Geburtsortes ist also ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Gesundheit Gebärender und Neugeborener. Wird ein Geburtsort „falsch“ gewählt, kann dadurch ein Geburtsschaden entstehen. Mögliche Ursachen dafür sind:
- Fehlende oder unzureichende Aufklärung: Ärzte, Ärztinnen und Hebammen klären nicht über mögliche Komplikationen auf oder weisen nicht auf die Vorteile spezialisierter Einrichtungen hin. Risiken und Kontraindikationen werden teilweise verharmlost, um die Geburt – trotz geringer Versorgungsstufe – zu betreuen.
- Falsche Risikoeinschätzung: Ärzte, Ärztinnen und Hebammen erkennen eine Risikoschwangerschaft oder Risikogeburt nicht als solche und empfehlen deshalb eine Klinik mit zu geringer Versorgungsstufe.
- Unterlassung der Verlegung: Eine Verlegung in eine besser ausgestattete Klinik wird bei unerwartet auftretenden Komplikationen nicht rechtzeitig veranlasst.
Welche Rechte haben Sie bei Geburtsschäden?
Wenn werdende Mütter nicht oder unzureichend über die Alternativen der Geburtsorte aufgeklärt oder die Risiken durch das medizinische Personal falsch eingeschätzt werden, kann dies zu einer Vielzahl an Geburtsschäden führen, die die Gesundheit und das Leben von Mutter und/oder Kind bedrohen. Lässt sich der Geburtsschaden auf den falschen Geburtsort zurückführen, der einer Fehlberatung oder -behandlung zugrunde liegt, haben Patienten und Patientinnen einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Ein Schadensersatz soll die Kosten decken, die unmittelbar durch den Geburtsschaden entstanden sind. Dazu zählen zum Beispiel Medikamente, Pflegeleistungen, Verdienstausfälle oder behindertengerechte Umbauten des Lebensumfelds. Als Entschädigung für immaterielle Schäden können Betroffene zusätzlich Schmerzensgeld einfordern. Die Höhe richtet sich unter anderem nach dem Grad und der Dauer der Beeinträchtigung. Um einen Anspruch geltend zu machen, muss die geschädigte Familie der verantwortlichen medizinischen Kraft die fehlerhafte Beratung oder Risikoeinschätzung sowie den Zusammenhang mit dem Geburtsschaden in der Regel nachweisen. Bei groben Behandlungsfehlern (eindeutiger Verstoß eines Arztes gegen Behandlungsregeln) muss der Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden nicht durch die Geschädigten, sondern durch den Verursacher (je nach Fall also Arzt, Hebamme oder Klinik) bewiesen werden.
Fazit
Die Entscheidung für einen Geburtsort liegt bei der Mutter. Je nachdem, ob eine Risikoschwangerschaft vorliegt oder nicht, kommen verschiedene Geburtsorte mit unterschiedlichen Versorgungsstufen infrage. Es ist Aufgabe der medizinischen Betreuung, das Potenzial einer Risikogeburt richtig einzuschätzen und die Schwangere entsprechend zu beraten. Kommen die verantwortlichen Ärzte, Ärztinnen und Hebammen ihrer Verantwortung nicht nach, kann ein Aufklärungsfehler oder ein Behandlungsfehler vorliegen. Diese Fehler gehen mit einem Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld einher.
Geburtsschäden sind ein hochsensibles Thema, das neben rechtlicher Expertise auch Einfühlungsvermögen erfordert. Unsere Kanzlei vertritt ausschließlich Patientinnen und Patientien und verfügt über reichlich Erfahrung im Bereich Arzthaftung und Geburtsschäden. In diesem Rahmen unterstützen wir Sie auch, wenn Sie den Verdacht haben, dass durch die Wahl des Geburtsorts ein vermeidbarer Geburtsschaden entstanden sein könnte. Sollte sich dieser Verdacht erhärten, setzen wir uns für Sie auch bei der Durchsetzung Ihres Anspruchs auf Schadensersatz und Schmerzensgeld ein.
Kontaktieren Sie uns gerne für weitere Informationen!
So setzen wir uns bei Geburtsschäden für Sie ein
Möglicher ablauf
Sie wurden ärztlich oder von einer Hebamme behandelt
Dabei entsteht ein Geburtsschaden
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