Ein medizinischer Behandlungsfehler kann nicht nur gesundheitlich einschneidende Folgen haben, sondern auch existenzielle. Wenn Patientinnen und Patienten durch einen Fehler in der ärztlichen Behandlung ihre Arbeit nicht oder nur noch eingeschränkt ausüben können, entsteht ein Verdienstausfallschaden. Dabei handelt es sich nicht um eine freiwillige Leistung, sondern um einen rechtlich begründeten Anspruch auf Schadensersatz. Doch wie berechnet sich dieser Anspruch? Und worauf ist zu achten?
Was ist ein Verdienstausfall und wie grenzt er sich ab?
Der Verdienstausfall ist der finanzielle Schaden, der entsteht, wenn jemand infolge eines körperlichen oder psychischen Schadens seine Erwerbstätigkeit nicht oder nur noch eingeschränkt ausüben kann. Juristisch spricht man häufig auch vom Erwerbsschaden, wobei dieser Begriff eher eine vollständige Erwerbsunfähigkeit meint. Der Begriff Verdienstausfall ist umfassender und schließt auch vorübergehende oder teilweise Einschränkungen mit ein.
Verdienstausfall als vermögensrechtlicher Schaden
Wenn es im Zuge eines ärztlichen Behandlungsfehlers oder eines anderen haftungsrechtlich relevanten Ereignisses zu finanziellen Einbußen kommt, ist es essenziell, die einzelnen Schadenspositionen juristisch klar voneinander abzugrenzen. Insbesondere beim Verdienstausfallschaden, also dem vermögensrechtlichen Schaden, der durch den Wegfall oder die Minderung der Erwerbstätigkeit entsteht, ist die Unterscheidung zu anderen Schadensarten entscheidend für die Durchsetzung der richtigen Ansprüche.
Der Verdienstausfall ist eine Form des Schadensersatzes, der sich auf den konkreten Verlust von Einkommen bezieht, das durch bezahlte Erwerbstätigkeit erzielt worden wäre. Grundlage für die Berechnung bildet die sogenannte Differenzhypothese (§ 249 BGB), wonach der Geschädigte so gestellt werden soll, als wäre das schädigende Ereignis – etwa ein ärztlicher Behandlungsfehler – nicht eingetreten. Dies umfasst sämtliche entgangenen Löhne, Gehälter oder Honorare, wobei auch zukünftige Gehaltssteigerungen in Form der sogenannten Dynamisierung berücksichtigt werden können.
Abgrenzung zum Haushaltsführungsschaden
Abzugrenzen ist der Verdienstausfallschaden klar vom sogenannten Haushaltsführungsschaden. Dieser betrifft ausschließlich Tätigkeiten im privaten Bereich, beispielsweise, wenn eine Mutter durch einen ärztlichen Kunstfehler nicht mehr in der Lage ist, den Haushalt zu führen oder die Kinder zu betreuen. Für die Berechnung werden hier regelmäßig Tabellen herangezogen, die den zeitlichen Aufwand und den Wert der entgangenen Haushaltsführung beziffern. Eine bezahlte Erwerbstätigkeit ist für diesen Anspruch nicht erforderlich.
Abgrenzung zum Schmerzensgeld
Ebenfalls deutlich zu unterscheiden ist der immaterielle Schadensersatz, besser bekannt als Schmerzensgeld. Während der Verdienstausfall eine wirtschaftlich konkret messbare Vermögenseinbuße darstellt, zielt das Schmerzensgeld auf den Ausgleich und die Genugtuung für erlittenes körperliches oder seelisches Leid ab. Es handelt sich dabei nicht um eine finanzielle Entschädigung für entgangene Einnahmen, sondern um einen Ausgleich für Lebensbeeinträchtigungen, Schmerzen und Einschränkungen in der Lebensqualität, typischerweise nach schweren Verletzungen, Operationen oder traumatischen Behandlungserlebnissen.
Juristische Einordnung und praktische Konsequenz
Im Ergebnis gilt: Der Verdienstausfallschaden ist eine klar vermögensbezogene Schadensposition, deren Geltendmachung eine belegbare Erwerbstätigkeit voraussetzt. Er unterscheidet sich sowohl vom Haushaltsführungsschaden als auch vom Schmerzensgeld grundlegend, sowohl rechtlich und wirtschaftlich als auch in der Methodik seiner Berechnung.
Wer von einem ärztlichen Fehler betroffen ist, sollte deshalb gemeinsam mit einem spezialisierten Anwalt prüfen lassen, welche Schadenspositionen im konkreten Einzelfall relevant sind und wie sie korrekt voneinander abzugrenzen sind. Nur so lässt sich eine umfassende Entschädigung bei Verdienstausfall sicherstellen, ohne dass finanzielle Einbußen dauerhaft zu Lasten der Betroffenen gehen.
Rechtsgrundlagen: Die Differenzhypothese als Leitprinzip
Zentral für die rechtliche Beurteilung und Berechnung eines Verdienstausfalls ist die sogenannte Differenzhypothese. Dieses Grundprinzip des Schadensrechts besagt: Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn das schädigende Ereignis, etwa ein Behandlungsfehler oder ein Diagnosefehler, nicht eingetreten wäre. Ziel ist die Wiederherstellung des vorherigen Zustands im wirtschaftlichen Sinne.
§ 249 BGB als zentrale Norm
Die juristische Grundlage hierfür bildet in erster Linie § 249 BGB, insbesondere:
- § 249 Abs. 1 BGB: Danach ist der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (sogenannte Naturalrestitution).
- § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB: Ist die Wiederherstellung nicht möglich oder nicht ausreichend, kann der Schaden in Geld ersetzt werden (Ersetzungsbefugnis).
Weitere Anspruchsgrundlagen bei körperlichen Schäden
Bei körperlichen Schäden, etwa nach einer fehlerhaften Operation oder einer unterlassenen Diagnostik, kommen ergänzend §§ 842 und 843 BGB zur Anwendung. Sie regeln den Ersatz von Verdienstausfall, Mehrbedarf und den Ersatz für entgangenen Unterhalt.
Kommt es zu einem medizinischen Behandlungsfehler, greift darüber hinaus das besondere Arzthaftungsrecht nach §§ 630a ff. BGB, das die Pflichten aus dem Behandlungsvertrag regelt.
Hypothetische Vergleichsrechnung als Berechnungsmaßstab
Der Verdienstausfallschaden wird nicht pauschal berechnet, sondern beruht auf einer individuellen und hypothetischen Vergleichsrechnung. Dabei wird ermittelt, welches Einkommen die geschädigte Person ohne das schädigende Ereignis realistischerweise erzielt hätte, und welche Einnahmen ihr tatsächlich zur Verfügung stehen, etwa aus Krankengeld, Erwerbsminderungsrente oder Sozialleistungen. Die Differenz stellt den zu ersetzenden Schaden dar.
Dynamisierung bei zukünftiger Einkommensentwicklung
Wichtig ist dabei auch die sogenannte Dynamisierung: Bei der Schadensberechnung wird berücksichtigt, wie sich das Einkommen der betroffenen Person in der Zukunft voraussichtlich entwickelt hätte. Gerade bei jungen Geschädigten, die beispielsweise noch am Anfang ihrer Karriere standen oder in einem Beruf mit Aufstiegschancen tätig waren, spielt diese Schätzung eine erhebliche Rolle für die Höhe des ersatzfähigen Schadens.
Vom Krankengeld zur Erwerbsminderungsrente: Drei Phasen der Einkommensminderung
In der Praxis lassen sich bei einem krankheitsbedingten Ausfall infolge eines Behandlungsfehlers drei typische Zeitabschnitte unterscheiden, die jeweils unterschiedlich auf den Verdienstausfallschaden wirken:
1. Entgeltfortzahlung (in der Regel 6 Wochen):
In den ersten sechs Wochen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zahlt der Arbeitgeber das volle Gehalt weiter (§ 3 EFZG). In diesem Zeitraum entsteht in der Regel kein Verdienstausfall, da das Einkommen unverändert bleibt. Dies ist bei Selbstständigen häufig anders.
2. Krankengeld (bis zu 72 Wochen):
Im Anschluss übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die Zahlung von Krankengeld, das allerdings meist nur etwa 70 % des letzten Nettoverdienstes beträgt. Die Differenz zwischen dem vorherigen Einkommen und dem reduzierten Krankengeld stellt einen konkreten Verdienstausfall dar, der im Rahmen des Schadensersatzes geltend gemacht werden kann.
3. Erwerbsminderungsrente oder dauerhafter Ausfall:
Kann die betroffene Person auch nach Ablauf des Krankengeldbezugs nicht mehr in ihren Beruf zurückkehren, folgt häufig der Übergang in die Erwerbsminderungsrente. Da diese Leistungen in der Regel nicht auch nur im Ansatz das volle Erwerbseinkommen ersetzen, entsteht ein dauerhafter Verdienstausfallschaden, der je nach Alter und Einkommensperspektive erheblich ausfallen kann.

Hypothetisches Einkommen und Dynamisierung: Der Blick in die Zukunft
Die Berechnung des Verdienstausfallschadens erfordert eine Prognose: Wie hätte sich das Einkommen der geschädigten Person ohne den schädigenden Vorfall voraussichtlich entwickelt?
Das heißt konkret:
- Berufliche Aufstiegschancen,
- Gehaltsentwicklungen,
- Tarifsteigerungen oder auch
- Wechsel in besser bezahlte Positionen
werden mit einbezogen. Diese sogenannte Dynamisierung spielt vor allem bei jungen Geschädigten eine große Rolle.
Beispiel
Eine 28-jährige Pflegekraft kann nach einem Behandlungsfehler wegen chronischer Schmerzen nur noch in Teilzeit arbeiten. Der Verdienstausfall ergibt sich aus dem Unterschied zwischen dem hypothetisch möglichen Vollzeitgehalt (z. B. 3.800 Euro brutto) und dem tatsächlich erzielten Teilzeitlohn (z. B. 1.900 Euro).
Was darf angerechnet werden und was nicht?
Tatsächliche Einnahmen wie Krankengeld, Sozialhilfe oder eine Erwerbsminderungsrente werden in die Schadensberechnung einbezogen.
Private Versicherungsleistungen (z. B. Krankentagegeld, Berufsunfähigkeitsrente) hingegen unterliegen dem Anrechnungsverbot. Wer sich auf eigene Kosten abgesichert hat, soll daraus keinen Nachteil erleiden. Das bedeutet: Diese Einnahmen mindern den Schadensersatz nicht.
Steuern und Progression: Warum der Nettoersatz täuschen kann
Ein nicht zu unterschätzender Aspekt bei der Verdienstausfallentschädigung ist die steuerliche Belastung. Verdienstausfallschäden müssen in aller Regel versteuert werden. Es ist deshalb wichtig, dass ein sog. Steuervorbehalt vereinbart wird. Rechnet man den Netto-Verdienstausfallschaden aus und wird dieser bezahlt. Muss dieser bei dem zuständigen Finanzamt angegeben werden. Darauf ist dann Steuern zu bezahlen, mit der Folge, dass der Nettobetrag noch einmal um die Steuer reduziert würde. Um das zu vermeiden, muss die Gegenseite in diesen Fall auch die Steuern zusätzlich erstatten. Dafür werden sog. Steuervorbehalte vereinbart.
Nachweise, Gutachten, Beweislast
Die Beweislast für einen erlittenen oder zukünftigen Verdienstausfall liegt grundsätzlich beim Geschädigten. Wer Ersatz verlangen will, muss nachvollziehbar darlegen, welches Einkommen ohne das schädigende Ereignis voraussichtlich erzielt worden wäre, welche beruflichen Entwicklungschancen bestanden und welche Einschränkungen nun konkret vorliegen.
Zur Untermauerung dieser Angaben müssen aussagekräftige Nachweise erbracht und durch entsprechende Unterlagen untermauertwerden. Der Schaden wird geschätzt, sodass keine zu hohen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast gestellt werden dürfen. Besonders hilfreich sind dennoch:
- Gehaltsabrechnungen und Steuerbescheide, um die bisherige Einkommensentwicklung zu dokumentieren,
- Arbeitsverträge und Stellenbeschreibungen, die die Art und den Umfang der Tätigkeit verdeutlichen,
- Lebensläufe und Zeugnisse, die Aufschluss über Qualifikationen und die berufliche Laufbahn geben,
- arbeits- oder sozialmedizinische Gutachten und ggf. Arbeitsmarktexpertisen, die die konkreten Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigung auf die Erwerbsfähigkeit einschätzen.
Je konkreter und nachvollziehbarer die Unterlagen sind, desto besser lassen sich hypothetische Verdienstverläufe gegenüber Versicherern oder Gerichten belegen. Auch für die Einschaltung eines spezialisierten Anwalts bildet eine vollständige Dokumentation die Grundlage für eine realistische Anspruchsberechnung.
Pflichten des Geschädigten: Schadensminderungspflicht
Nach § 254 Abs. 2 BGB muss sich der oder die Geschädigte um zumutbare berufliche Alternativen bemühen. Wer gar nicht versucht, den Schaden zu begrenzen, kann einen Teil seines Anspruchs verlieren. Umschulungen, Teilzeitjobs oder angepasste Tätigkeiten sind unter Umständen zumutbar und mindern den geltend zumachenden Schaden. Häufig sind solche Maßnahmen aber nicht – mehr – zumutbar, wenn man z. B. schon lange in einem Beruf gearbeitet hat und nur noch einige Jahre bis zum Eintritt in das Renteneintrittsalter sind.
Verjährung nicht verpassen
Der Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung verjährt grundsätzlich innerhalb von drei Jahren ab Kenntnis des Schadens (§ 195 BGB). Wer zu lange wartet, verliert möglicherweise seine Ansprüche.
Warum ein spezialisierter Anwalt so wichtig ist
Die Berechnung eines Verdienstausfalls ist oft komplex, nicht nur rein rechnerisch, sondern auch wegen der vielen rechtlichen Feinheiten. Ein erfahrener Fachanwalt für Medizinrecht kennt die aktuelle Rechtsprechung, weiß, wie Gerichte hypothetische Erwerbsverläufe bewerten, und erkennt frühzeitig die Stolperfallen, die im schlimmsten Fall zu finanziellen Nachteilen führen können.
BROCKS Medizinrecht ist auf genau solche Fälle spezialisiert. Wir nehmen uns die Zeit, Ihre persönliche Situation sorgfältig zu analysieren, prüfen detailliert Ihre Unterlagen und sorgen dafür, dass Ihr Verdienstausfall realistisch und vollständig erfasst wird.
Denn gerade wenn die gesundheitlichen Folgen bereits belasten, sollte die Durchsetzung berechtigter Ansprüche nicht zusätzlich zur Hürde werden. Kontaktieren Sie uns gerne für ein vertrauliches Erstgespräch, wir stehen an Ihrer Seite.