Schwangere in der Klinik, Geburtseinleitung mit Cytotec
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Cytotec in der Geburtshilfe: Risiken, Haftung und rechtliche Bewertung

Die Geburtseinleitung ist ein sensibler Abschnitt im geburtshilflichen Alltag. In den letzten Jahren hat er zudem zunehmend juristische Aufmerksamkeit erfahren. Im Zentrum der Diskussion steht dabei ein Medikament, das ursprünglich gar nicht für geburtshilfliche Zwecke entwickelt wurde: Cytotec.

Was viele nicht wissen: Die Anwendung von Cytotec-Tabletten bei Geburten erfolgte in Deutschland jahrelang im sogenannten Off-Label-Use, also außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs. Bis 2006 war Cytotec in Deutschland offiziell zur Behandlung von Magengeschwüren zugelassen; danach wurde es vom Hersteller Pfizer vollständig vom Markt genommen. Dennoch blieb Cytotec in der Geburtshilfe weiterhin im Einsatz: Viele Kliniken reimportierten das Medikament aus dem Ausland und setzten es auch nach dem Marktrückzug routinemäßig ein. Doch macht allein das einen ärztlichen Behandlungsfehler aus? Die Antwort ist differenziert und für betroffene Familien wie für Geburtskliniken von großer Bedeutung.

Wirkstoff und Wirkung: Was ist Cytotec?

Cytotec enthält den Wirkstoff Misoprostol, ursprünglich zur Behandlung von Magengeschwüren zugelassen. In der Geburtshilfe wurde es jedoch vielfach zur Geburtseinleitung eingesetzt, weil es effektiv, kostengünstig und klinisch vielfach erprobt war. Zugelassen war es für diesen Zweck in Deutschland nicht, bis dann 2021 „Angusta“ mit demselben Wirkstoff zugelassen wurde.

Medizinisch spricht einiges für Cytotec und vor allem den Wirkstoff Misoprostol: Es wirkt zuverlässig, ist stabil und führt im Vergleich zu anderen Präparaten nicht häufiger zu Kaiserschnitten. In der S2k-Leitlinie „Geburtseinleitung“ (2021) wird Misoprostol sogar als eines der effektivsten Medikamente zur Einleitung genannt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen bestätigen, dass Misoprostol zu den am besten untersuchten Wirkstoffen in diesem Bereich gehört. Der Nutzen – etwa ein kürzerer Geburtsverlauf bei gleichzeitig stabiler Sicherheit – wurde in Studien vielfach belegt.

Die Wirkung von Cytotec beruht auf der Anregung von Kontraktionen der Gebärmutter. Das kann den Geburtsverlauf fördern; es birgt aber auch Risiken, insbesondere bei Überdosierung oder bei bestehenden Kontraindikationen.

Off-Label bedeutet nicht automatisch Behandlungsfehler

Rechtlich ist ein Off-Label-Use nicht automatisch unzulässig. Die Rechtsprechung – insbesondere des Bundesgerichtshofs – stellt klar: Auch eine nicht zugelassene Anwendung kann dem medizinischen Standard entsprechen, wenn sie nach sorgfältiger Abwägung und mit fundierter Aufklärung erfolgt. Nach § 630a Abs. 2 BGB muss die Behandlung „nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards“ erfolgen. Der Zulassungsstatus des Medikaments bestimmt dabei nicht automatisch diesen Standard. Maßgeblich sind vielmehr Leitlinien, Richtlinien der Fachgesellschaften und die „good clinical practice“. Dies ist ein Punkt, den auch die Gerichte immer wieder betonen.

Voraussetzung für die rechtliche Zulässigkeit eines Off-Label-Use ist:

  • eine medizinisch begründete Indikationsstellung,
  • eine Nutzen-Risiko-Abwägung im konkreten Fall,
  • und eine vollständige Aufklärung der Patientin, auch über den nicht zugelassenen Einsatz.

Wurde dies eingehalten, war die Anwendung von Cytotec bis zur Zulassung von Angusta im Jahr 2021 in der Regel nicht behandlungsfehlerhaft.

Wann wird die Anwendung juristisch problematisch?

Auch wenn Cytotec selbst kein „verbotenes“ Medikament ist, gibt es rechtliche Fallkonstellationen, in denen seine Anwendung zu einer Haftung führen kann – etwa bei:

Kontraindikationen

Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn Cytotec verabreicht wird, obwohl klare medizinische Gegenanzeigen bestehen – etwa:

  • Zustand nach Kaiserschnitt (Sectio)
  • Endometrioseoperationen mit Eröffnung der Gebärmutter
  • oder andere frühere, größere Operationen an der Gebärmutterwand.

In solchen Fällen besteht ein erhöhtes Risiko für eine Uterusruptur. Die Fachliteratur und Leitlinien warnen ausdrücklich vor einer Anwendung bei entsprechenden Vorerkrankungen, auch wegen der möglichen Spätfolgen für Mutter und Kind.

Auflösen einer Cyctotec-Tablette in Wasser

Falsche Dosierung und unsichere Darreichung

Früher wurde Cytotec häufig geteilt oder in Wasser aufgelöst mit dem Ziel, möglichst niedrige Dosen (z. B. 25 µg) zu erreichen. Doch bei Tabletten ohne Bruchrille ist dies problematisch: Der Wirkstoff verteilt sich ungleichmäßig und die Dosierung wird somit ungenau.

Gerade im Zusammenhang mit Misoprostol-Einleitung ist dokumentiert, dass Überdosierungen zu einer überstimulierten Gebärmutter führen können – mit Risiken für das Kind (z. B. Sauerstoffunterversorgung) und möglichen Geburtsschäden.

Mit dem Markteintritt von Angusta (25 Mikrogramm) steht nun ein speziell für die Geburtseinleitung zugelassenes Präparat zur Verfügung. Dies ermöglicht eine präzisere Dosierung. In Fachkreisen wird daher diskutiert, ob die Praxis des Teilens von Cytotec-Tabletten nach 2021 noch als standardgerecht anzusehen ist. Medizinrechtlich deutet vieles darauf hin, dass dies nicht mehr der Fall ist.

Fehlende Aufklärung

Ein häufiger Kritikpunkt in Haftungsverfahren ist die unzureichende Aufklärung. Die Patientin muss wissen:

  • dass Cytotec nicht für die Geburt zugelassen war (zum Zeitpunkt der Anwendung),
  • welche Alternativen bestanden,
  • und welche Nebenwirkungen und Spätfolgen möglich sind.

Versäumt der Arzt oder die Ärztin diese Aufklärung, stellt dies bereits unabhängig vom Behandlungserfolg einen Aufklärungsfehler dar.

Welche Nebenwirkungen und Spätfolgen sind möglich?

Die Nebenwirkungen von Cytotec können sowohl die Mutter als auch das Kind betreffen. Nebenwirkungen bei der Mutter sind u. a.:

  • starke Kontraktionen,
  • Wehensturm,
  • Gebärmutterruptur (bei Risikofaktoren),
  • Fieber, Übelkeit, Durchfall.

Bei Kindern werden in Diskussionen um Cytotec-Spätfolgen immer wieder folgende Begriffe genannt:

  • neurologische Entwicklungsstörungen,
  • Beeinträchtigungen durch Sauerstoffmangel.

Zwar ist ein direkter, wissenschaftlich belegter Zusammenhang in vielen Fällen nicht eindeutig nachweisbar, juristisch relevant wird es aber dann, wenn die Anwendung nicht korrekt dokumentiert oder gegen medizinische Standards verstoßen wurde. Cytotec selbst löst die Schwierigkeiten dabei nicht aus. Vielmehr kann es bei einem standardwidrigen Einsatz zu einer zu starken Wehentätigkeit mit Riss der Gebärmutter führen. Die löst dann wiederum die o.g. Dauerschäden des Kindes aus.

Was Betroffene tun können

Wenn nach einer Geburtseinleitung mit Cytotec medizinische Komplikationen aufgetreten sind, sollte geprüft werden:

  • ob Kontraindikationen vorlagen,
  • ob die Aufklärung ordnungsgemäß erfolgte,
  • und ob die Dosierung medizinisch vertretbar war.

Auch die Frage nach Schmerzensgeld oder dauerhaften Folgeschäden kann im Raum stehen – insbesondere bei Fehlbildungen, neurologischen Einschränkungen oder Geburtsschäden, die auf Überstimulation zurückgeführt werden.

Die Verjährungsfrist ist dabei entscheidend: Je nach Ausgangssituation (z. B. Geburtsschaden beim Kind) können auch 10 Jahre oder mehr maßgeblich sein. Eine frühzeitige rechtliche Beratung ist daher empfehlenswert, gerade auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer späteren Klage.

Wer den Verdacht hat, dass die Anwendung von Cytotec nicht korrekt ablief oder zu Folgeschäden geführt hat, sollte den Fall durch eine spezialisierte Kanzlei prüfen lassen. Die juristische Bewertung hängt stets vom Einzelfall ab, aber oft lassen sich berechtigte Ansprüche durchsetzen. Lassen Sie sich nicht von Anwälten erzählen, dass bei der Gabe von Cytotec immer Ansprüche bestehen – das ist unseriös und die Aussage rechtlich schlicht unhaltbar!

Fehlende oder mangelhafte Aufklärung

Ein besonders häufiges Thema in gerichtlichen Verfahren ist die Aufklärung. Wurde die Patientin nicht darüber informiert, dass es sich um einen Off-Label-Einsatz handelt, liegt in vielen Fällen ein Aufklärungsfehler vor – unabhängig davon, ob es zu Komplikationen kommt.

Die gesetzlichen Anforderungen an die Aufklärung (§630e BGB) sind hier eindeutig. Eine informierte Entscheidung ist nur möglich, wenn auch die Zulassungssituation und die Alternativen dargestellt werden.

Cytotec – (k)ein Fehler für sich genommen

Die Anwendung von Cytotec allein war kein Behandlungsfehler – jedenfalls nicht pauschal. Mehrere Gerichte – darunter das OLG Köln, das LG Bonn und das LG Berlin – haben sich bereits mit der Haftungsfrage bei Cytotec befasst. Die Rechtsprechung ist hier eindeutig: Ein Schadensersatzanspruch wird nur angenommen, wenn eine absolute Kontraindikation übersehen oder die Aufklärung unzureichend war. Allein die Gabe von Cytotec zur Geburtseinleitung, ohne weitere Fehler, wurde bislang nie als behandlungsfehlerhaft bewertet. Weder der Off-Label-Use noch Herstellerhinweise oder Pressemitteilungen begründen eine Haftung – solange ärztliche Standards eingehalten wurden.

Verstöße gegen ärztliche Standards liegen vor, wenn

  • Warnhinweise ignoriert,
  • Kontraindikationen übersehen oder
  • Patientinnen nicht informiert wurden.

Der Maßstab ist dabei hoch: Ärztinnen und Ärzte müssen die Risiken erkennen und kommunizieren. Gerade bei Geburtseinleitungen ist eine sorgfältige Dokumentation und Risikoabwägung unerlässlich.

Fazit: Was bedeutet das für betroffene Patientinnen?

Wer den Verdacht hat, dass es im Rahmen der Geburtseinleitung zu Komplikationen gekommen ist – etwa einer Uterusruptur – sollte prüfen lassen, ob die Verwendung von Cytotec medizinisch gerechtfertigt war. Insbesondere ist zu klären:

  • Gab es Kontraindikationen?
  • Wurde korrekt aufgeklärt?
  • Wurde die Dosierung sachgerecht gewählt?

Hier kann eine juristische Aufarbeitung helfen, Klarheit zu schaffen, wenn die Anwendung selbst zunächst nicht fehlerhaft war.

Die Cytotec-Diskussion hat viel Unsicherheit ausgelöst – bei Kliniken, bei Hebammen und bei Eltern. Rechtlich gilt: Cytotec war lange kein schlechtes Medikament – aber ein risikobehaftetes, das mit besonderer Sorgfalt einzusetzen war.

Wo diese Sorgfalt fehlte, können Schadensersatzansprüche bestehen. Wo sie eingehalten wurde, nicht.

Wir bei BROCKS Medizinrecht unterstützen Sie dabei, mögliche Behandlungsfehler im Zusammenhang mit Geburtseinleitungen rechtlich einzuordnen – transparent, medizinisch fundiert und mit einem klaren Blick auf die individuelle Situation. Kontaktieren Sie uns gerne für ein unverbindliches Erstgespräch – wir beraten Sie kompetent und vertraulich.

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